Heldendämmerung an der Gessnerallee
NZZ, 10. 12. 2005
Der Zürcher Regisseur mit Karriere am Zürcher Schauspielhaus Michel Schröder nimmt sich Cervantes‘ weltliterarischen Romans «Don Quijote» an. Sein Protagonist als Prototyp des tragischen Versagers erliegt im Theaterhaus Gessnerallee dem Heldentod der bravourösen Art: Mit «Quixote oder der Versuch, erfolgreich zu scheitern» ist ein neuer Stern am Zürcher Theaterhimmel aufgegangen.
Weite Ebene, ödes Feld, verstorbene Natur: Hier schreit vom stumpfen Stamm das Käuzchen nicht mehr – weil es ausgestopft ist; dort brennt ein lustiges Feuerlein – auf dem flachen Bildschirm. Hüben erfrischt sich ein von Sehnsucht entkräfteter junger Mann im Spiegelglas, drüben hat Caspar David Friedrich das Eismeer in romantische Schollen gebrochen, es sind hölzerne Paletten der Deutschen Bundesbahn. Wenn sich die gescheiterten Ritter der gekenterten Hoffnung auf den Holz-Gipfel stellen, sind sie Kühlerfiguren der «Titanic».
Statisten und Kopfgeburten
Der Bühnenbildner Duri Bischoff hat diese unnatürliche Naturlandschaft in das Theaterhaus Gessnerallee gebaut, das am Donnerstag eine Uraufführung erlebt hat, die so schnell nicht vergessen ist: «Quixote oder der Versuch, erfolgreich zu scheitern» in der Inszenierung von Michel Schröder. Dieser hat, und das ist sein Kapital, nebst dem stilsicheren Bischoff bestbewährte Protagonisten zur Seite: Herwig Ursin als einen um den Verstand gebrachten Schwärmer, Phil-I-Studenten oder Quixote; Sandra Utzinger als Olivia Newton John, die uns spanisch vorkommt, dazu Ariane Andereggen, Nils Torpus und Markus Wolff als Ritter der todtraurigen Gestalten. Sie sind die Statisten, Spielfiguren und Kopfgeburten von Ursin, einem sinnlos Rasenden, der mit dem Personal seine Sehnsucht nach dem grossen Abenteuer, nach dem grossen Gefühl inszeniert. Nic Tillein hat Quixotes Spiel-Material in typisierte Kostüme gepackt, in denen sie aus einem Märchen geschlüpft sind (Andereggen) oder aber aus einem Batman-Comic gefallen (Wolff).
Wenn Schröder und das Ensemble, wenn das Ensemble und der Videokünstler Roland Schmidt hier so souverän einen modernen «Quijote» behaupten, gelingt das, da sie auf der Bühne eine suggestive Atmosphäre aufbauen. Ekstase und Lähmung sind die Krankheiten dieser Jugend. Sie ist überwältigt oder gelähmt von ihren Gefühlen, von einer unbestimmten Sehnsucht nach dem wirklichen Leben, sie ist getrieben, gedrängt und – beschäftigt mit den surrealen Bühnenapparaturen von Bischof – unsinnig aktiv. Wenn Cervantes‘ Ritter seinen Realitätssinn ob allzu viel Lektüre verlor, verliert ihn dieser Quixote auch über dem, was er an Filmbildern und Musikträumen inhaliert hat. Schmidt wird sie auf die Wände projizieren, die Klischees von Cowboy-Abenteuern und «Grease»-Liebe.
Ende der Schönwetterwolke
Doch sie kommen auch hier nicht zusammen, Dulcinea und der arme Ritter; bei aller sportiven Anstrengung des Mannes nicht. Sie wird sich in Frischhaltefolie einwickeln und er hoffnungslos gegen sie anrennen, halb nackt und lächerlich selbstgefällig. Gefühl ist Kampf, das zeigen Andereggen und (der hier unterbeschäftigte) Torpus wunderschön. Wenn er Zärtlichkeit fühlt, befällt sie ihn wie ein Krampf, und er muss seine Dulcinea zu Boden ringen. Selbst Hand anzulegen an dem, was man Leben nennt, das ist die einzige Hoffnung, die Schröder intakt lässt. Also kurbelt Quixote am Ende die Schönwetterwolke eigenhändig vom Himmel und macht uns glauben, dass das Glück doch dem Tüchtigen gehört – dem tüchtigen Träumer.
Daniele Muscionico