«Im Herzen der Finsternis»

Herz der Finsternis – Kritik im Radio DRS

Der Roman «Das Herz der Finsternis» von Joseph Conrad gilt als ein Schlüsselwerk zum Verständnis des Kolonialismus. Nun hat sich die Freie Zürcher Theatergruppe «krautproduktion» des Romans angenommen. Conrads Buch aus dem Jahr 1899 erzählt die Bootsfahrt eines Kapitäns den Kongofluss hinauf zum Handelsposten des Elfenbeinagenten Kurtz, einer Personifizierung der brutalen Strategien des Kolonialismus.

Herz der Finsternis, Theaterprojekt nach Joseph Conrad, steht auf dem Programmzettel. Und dieses NACH Joseph Conrad heisst in den folgenden neunzig Minuten zweierlei. Einmal dass es hier nicht um die Bühnenadaption eines Romans geht, sondern dass dieser vielmehr ein Impuls für die Produktion gewesen sein mag. Und zweitens, die Frage, was kann man heute, also 110 Jahre NACH Joseph Conrad über seinen Erfahrungsbericht im Kongo sagen, bzw – wie lässt sich dies auf die Bühne bringen.

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Es fängt friedlich an. Vogelgezwitscher. Ein Wald aus verdorrten Ästen auf der Bühne, auf die hintere Wand des Theaters sind üppige Urwaldbilder projiziert. Fünf Gestalten, die an eine muntere Touristengruppe erinnern könnten: Tropenhüte, nette Kleidchen im Urwaldlook. Und nett ist auch die Showeinlage, die sie gleich am Anfang lächelnd darbieten. Dann bricht der Klang der westlichen Warenwelt in die vermeintliche Idylle ein.

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Dass es hier um eine brüchige, eine ambivalente Welt geht, ist von Anfang an klar. Der folgende Originaltext von Joseph Conrad werde uns präsentiert von Nestle, www.privatressources dot com, sagt eine Frau in naiver Kapitalismusverzückung an. – Dann die ersten Sätze des Romans:

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Doch vom Original sind wir auch schnell wieder weit entfernt. Einer hat sich nach hinten zum Kriegsspielen verzogen, der andere schminkt und verkleidet sich zum McDonald Clown, die dritte stillt eine kleine schwarze Puppe an ihrer Brust, bindet sie anschliessend an eine Hundeleine und zieht sie auf der Bühne hinter sich her. Der Sound dazu ist ein wilder Mix aus Klassik und Werbung, Pop und akustischer Kakophonie: Die an die Schmerzgrenze der Wahrnehmung geht. Und mit unseren Nerven und Emotionen spielt.

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Doch welche Welt sind wir? – Wie ist diese noch von der Kolonialzeit geprägt? – Auch wenn die einfache Unterscheidung von WIR und DIE ANDEREN längst nicht mehr greift, sind die Strukturen und Machtmechanismen, die die Herrschaftsgesten des Westens gegenüber anderen Ländern möglich gemacht haben, längst nicht überwunden. Und hier setzt der Theaterabend von der Gruppe Krautproduktion um den Regisseur Michel Schröder an. Und tut dies radikal. Denn was auf der Oberfläche als kruder Assoziationsmix aus Machokritik, Missionionsskabaret und einem ironischen Vorführen der heutigen Werbe- und Markenwelt daher kommt, ist im Kern wesentlich mehr als das: Der Theaterabend hat es auf unsere Wahrnehmung abgesehen. Er verweigert das Geschichtenerzählen, und damit das Reproduzieren und Illustrieren alter Muster und Bilder. Er schafft einen athmosphärischen performativen Raum, in dem Widersprüche und Brüche die Realität sind. Das ist so schlüssig wie konsequent, und so aufregend wie trostlos.

Dagmar Walser