«Grenzauslotung»

Kritik zu «Der Schweizerpsalm» im «PS. Die linke Zürcher Zeitung»

«Sag, wie hast Du’s mit dem Patriotismus», fragt Michel Schröder mit kraut_produktion und hockt das Publikum in «Der Schweizerpsalm» in einen Festakt mit verschiedenartig glückenden Bemühungen um ein Gemeinschaftsgefühl.

Freiwillig würde unsereiner ja nie an ein Volksfest mit als Heimattümelei inszenierter Fröhlichkeit. Für den Direktkontakt mit Andersdenkenden benötigt es schon den Dorfplatz oder sonst eine Beiz, und sogar diese Begegnungen konstruktiven Streitens haben Seltenheitswert und den Charakter von Zufälligkeit. Das letzte Mal war mit dem Lastwagenchauffeur Erich Hess. Obschon keiner wusste, wer der andere ist, waren die Differenzen sehr schnell klar, aber der folgende Austausch von Argumenten ging erstaunlich gesittet vonstatten und die Gesprächskultur des gegenseitigen Ausredenlassens war Ausdruck von Anstand in der Form. Eine Wiederholung möchte ich trotzdem nicht erzwingen. Aber als Ausreisser aus der linkst-grün-intellektuell-urbanen Gewohnheit im Umgang, war diese Begegnung nicht ohne Reiz, gerade weil sie die übliche Verkürzung einer festen Haltung auf deren Bestand hinterfragte.

Genau das versucht «Der Schweizerpsalm» mit anderen Mitteln. Die Szenerie von Festbänken, künstlichen Palmen, absichtlich hochnotpeinlichen Pauseneinlagen von Sändy und Wändy (Sandra Utzinger und Wanda Wylowa) ist zum Abgewöhnen. Nur der deutlich erkennbare Unernst in Kombination mit weiteren Gegenüberstellungen von Gegensatzpaaren, wirken einem überhasteten Fluchtreflex entgegen. Für gewöhnlich schnell geäusserte Forderungen an andere, sich auch einmal über den Horizont des virtuellen eigenen Gartenzauns hinaus mit Realitäten auseinanderzusetzen, wirken von aussen auf einen selber angewandt, als Forderung plötzlich wie eine leidlich unangenehme Vorschrift, der man sich nur um des Friedens willen ergibt. Auf diesem schmalen Grad zwischen Eigenwahrnehmung und Fremderwartung zielt dieser kraut_Abend virtuos und gekonnt. Einen Fahnen schwingenden Nils Torpus mit Alphorn blasendem Peter Rinderknecht und Hellebarden hereintragenden Michael Wolf gegen das stereotype Bild einer Anbiederung, das man gern in seiner Rückwärtsgewandtheit belächeln würde, fände der Abend als Gegengewicht nicht auch Zeugnisse zeitgenössischer Anbiederung mit Mitteln neuster Technologie. Sämtliche Parteien verpacken ihre Sendungen in Wahlwerbespots, die billiger oder teurer produziert sind, aber allesamt – wenn en suite projiziert – eigentlich einen recht vergleichbaren Geist oder zumindest Willen zur Herstellung eines Gemeinschaftsgefühls offenbaren, der sich formal vom traditionalistischen Akt unterscheidet, aber inhaltlich doch so stark wirkt, als wären bloss die Schläuche neu, der Wein indes der alte. Dieses Beispiel des Umgangs von «Der Schweizerpsalm» mit Verkrustungen und Unredlichkeiten kann stellvertretend für die vielen weiteren, detailreichen und inhaltlich breit aufgestellten Vergleiche des Abends genommen werden. Die simple Verhöhnung kommt so nicht vor, also auch keine vereinfachende Inschutzstellung irgendeiner Warte. Die Liebe zur Schweiz wird von kraut nicht per se als reaktionäres Gedankengut verschrien, sondern als genuine Gratwanderung der Emotionen – als Ursuppe eines einzigen Widerspruches, der keine simple Lösung kennt. Auch die Schweizkritik per se, sei es durch sogenannte Intellektuelle, wird in ihrer Unmöglichkeit vorgeführt. Einmal erinnert sie an Dürrenmatt, dann an Marthaler. Selbst in den Künsten also wird jeder neue Ansatz mit der Vergangenheit in einen Direktvergleich gezogen, die reine Bemühung einer Standpunktefindung zum Vorwurf des Plagiats oder im Mindesten einer fehlenden Originalität. Die Kritik an der Schweiz ist immer nicht recht und das meistens gleich allen. Weil aber wiederum allen klar ist, dass eine fraglose Begeisterung im Sinne eines Persilscheins für das einseitige Glorifizieren einer Schweiz nicht die Alternative sein kann, stellt dieser Abend die Möglichkeit einer Schweizkritik per se infrage und reüssiert dabei im Ansinnen, die Hirnwindungen des Publikums in Schwingung zu versetzen.