Kritik im Tagblatt Zürich
Evolution im Punkgewand
Punkrock-Theater – Ein Konzert mit Schauspielern: Das Stück «Krone der Schöpfung» in der Roten Fabrik ist ein spannendes Experiment.
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Weil er danach noch Zeit hatte, schuf er auch noch den Punkrock. Un ddessen mitreissender Takt löste nicht weniger als die Evolution aus.
So lässt sich die erste Minute von «Krone der Schöpfung» beschreiben, der neusten Produktion der Zürcher Theatergruppe «kraut_produktion». Noch bis zum 12. April wird in der Aktionshalle der Roten Fabrik die Menschheitsgeschichte neu geschrieben. Die Zuschauer erwartet aber nicht etwa ein Theater im herkömmlichen Sinne. Vielmehr ist es ein Rockkonzert, dessen explosive Energieausschüttung sich mit der Performance der Schauspieler vermischt. Erst nach etwa 45 Minuten wird überhaupt mal gesprochen. Das heisst aber nicht, dass es zuvor keine Handlung gibt. Was passt beispielsweise besser als eine Rockversion vom Hit «Firestarter» der Band Prodigy, um den Fortschritt in der Steinzeit zu beschreiben?
Es sind viele kleine Details, die das neuste Stück der «kraut_produktion» sehr sehenswert machen. Zumindest, wenn man eine Grundsympathie für Rockmusik und schräge Situationskomik mitbringt, denn einfach Kost ist die «Krone der Schöpfung» nicht. Damit reiht sich das Stück aber ideal in den Werdegang der alternativen Künstlercombo ein. Regisseur Michel Schröder: «Wir wollen das Publikum jeweils herausfordern, provozieren gerne, ohne dies aber sinnlos zu zelebrieren. Vielmehr wollen wir die klassische Schönheit, die man in einem Theater erwartet, zerbrechen und Schmerzgrenzen auskosten. Man kann uns danach lieben oder hassen, wir rechnen stets mit allen möglichen Reaktionen. Aber wichtig ist es, dass wir Emotionen auslösen und zu Diskussionen anregen können.»
Eine wilde Mischung
«Kraut_produktion» wurde im Jahr 2000 von Michel Schröder gegründet. Zuvor sammelte der 47-Jährige unter anderem als Regieassistent am Schauspielhaus Zürich, bei Frank Castorf und Christoph Marthaler, wertvolle Erfahrung. Heute ist er Co-Leiter vom Fabriktheater Rote Fabrik. Mit der «kraut_produktion» schuf er ein Ventil, um freie Kunst zu fördern und das klassische Bühnenspiel völligneu zu definieren. «Alle Beteiligten bringen jeweils ihre Ideen ein. Diese vermischen wir zu einem wilden, teils unberechenbaren Kosmos. Das macht die Arbeit für mich als Regisseur nicht unbedingt einfacher, aber spannender».
Mit der «Krone der Schöpfung» wagte sich Michel Schröder auf ein neues Spielfeld. «Bisher war die Musik jeweils begleitend im Hintergrund. DIesmal ist der Sound aber das tragende Element, das die Story vorantreibt.» Mit der Berner Band Biggerclub fand er hierfür die ideale Combo, die während des Stücks Songs von Rage Against the Machine oder den Dead Kennedys nicht nur mitreissend covert, sondern mit Thomas Hostettler einen Sänger hat, der für die Bühne geboren ist. So gehört er als Schauspieler seit 15 Jahren auch zum Kernensemble von «kraut_produktion».