Phu! Diesen Theaterabend gilt es erst einmal zu verdauen.
Die Chronisten 1 – Kritik im Tagesanzeiger, 16. 10. 2009
Die erste Folge der «Chronisten», einer neuen, vierteiligen Serie der Zürcher Gruppe Kraut-Produktion, ist keine Kost für schwache Mägen. Endet sie doch als widerliches Spiel mit Erbrochenem und Exkrementen. Am Boden breitet sich ein gelber See mit schwimmenden bunten Stückchen aus. Der von einer geschundenen nackten Kreatur (gespielt von Regisseur Michel Schröder) über 20 Minuten hinweg mit blossen Händen in einen Eimer geschaufelt wird. Aus riesigen Eierköpfen und Hosen laufen dunkle Saucen oder knallig bunter Glibber. Die Federn des demolierten Sofas kleben am Körper von Thomas U. Hostettler, der sich kurz davor erst mit Erbrochenem und dann mit Himbeersirup übergossen hat. Derweil im Hintergrund WEF-Gründer Schwab auf Video das Vertrauen in die Wirtschaft bekräftigt. Man fragt sich verwirrt, worum es hier eigentlich gehen soll.
Muss denn das alles sein? Ja, es muss. An diesem Abend muss zum Schluss alles triefen und auslaufen und verrotten. Vor rund einem Jahr hat sich Kraut-Produktion mit «Schlachtplatten» in vier aufeinanderfolgenden Episoden der Schweizer Geschichte und ihren Mythen angenommen. Mit dem «Chronisten»-Projekt ist die Truppe nun in der Gegenwart angekommen. Die Texte der ersten Folge stammen aus abstrusen Internetforen, aus Castingshows oder samstäglichen Unterhaltungssendungen. Und sind zu einer ebenso unterhaltsamen wie bösen Satire montiert. Doch diesmal belassen es die selbst ernannten Chronistinnen und Chronisten um Michel Schröder nicht bei einer Aufbereitung der Quellen, sondern verstehen ihre Geschichtsschreibung gleichzeitig als einen organischen Prozess der Zersetzung. Und da ist es nur konsequent, wenn sich am Ende das Bühnenbild und die Figuren im Rahmen des Möglichen auflösen. Auch wenn die Inszenierung darunter leidet, langfädig und plakativ wird – konsequent ist sie.
(Charlotte Staehelin)