Kritik in der Südostschweiz zu «Human Resources»
Die Zürcher Gruppen kraut_produktion und Theater Hora spannen für ihre jüngste Arbeit zusammen. «Human Resources» bricht eine Lanze für angstfreie Ehrlichkeit und einen spielerischen Umgang mit den letzten Fragen.
Seltsames geht vor sich in der Roten Fabrik. Das Zürcher Kulturzentrum ist seit über 30 Jahren die uneinnehmbare Trutzburg, wenn es darum geht, anspruchsvolle Kunst gegen die Brandung der Massenunterhaltung zu verteidigen. Und nun dies: Das Publikum im Fabriktheater steht auf der Tribüne und schunkelt und tanzt zu Nik P.s volkstümlichem Schlager «Geboren um dich zu lieben.
Möglich macht das «Human Resources», die erste Koproduktion von kraut_produktion und Theater Hora, ein «Gemeinschaftsdelirium», so der Untertitel. Möglich macht das auch eine Theaterform, wie sie Regisseur Michel Schröder pflegt. Eine Form, welche nicht Schauspieler, sondern eigenständige Performer zeigt – und deshalb an diesem Abend, an dem es um die «menschlichen Ressourcen» geht, zulässt, dass die vier so genannt geistig Behinderten ihre Vorlieben auf die Bühne bringen: volkstümlicher Schlager, kurlig-quere Liebesgeschichten, Quiz-Formate wie «Herzblatt» oder Wer-ist-der-Beste-wer-ist-die-Schönste-Spiele. Die vier Performer von Hora und die drei Kraut-Urgesteine Thomas U. Hostettler, Nils Torpus und Sandra Utzinger sind als «Saubannerzug der Randständigen», als «Ausschussware des optimierten Humankapitals» angekündigt. Es wird die Frage gestellt, was denn genau die «Human Resources» sind, die das Leben lebenswert machen. Draussen steht auf dem bereits schon legendären Saisonplakat des Fabriktheaters: «Hier wir Ihr Steuergeld verspielt.»
Und natürlich ist der erwähnte Schlager nur ein kleiner Teil eines grösseren Ganzen, das stets virtuos unübersichtlich bleibt. Während das Publikum hüpft, zeigt Roland Schmidts Videospur schlechte Zähne und Zahnkorrekturen in Grossaufnahme. Und wenn sich die Protagonisten nach dem Liebesdiskurs umarmen, sehen wir Skelette aus Röntgenfilmen über die Wände gleiten. Und gleich nach dem Schlager sind wir nahtlos wieder im roten Kulturzentrum, wenn Kurt Cobain ins Mikrophon rotzt.
Schröder und sein Ensemble pflegen, was sie meisterhaft beherrschen: Auch diese Produktion ist ein wuchtiges Bild-, Ton und Performance-Tableau, bei dessen Betrachtung Irritation als Nebenwirkung garantiert ist. Was st aber nun mit den «Human Resources»? Neben der Einsicht, dass Verrücktheit, Verspieltheit und Entgrenzung lebenswerter und lustiger sind als Ordnung und Kontrolle, findet das Stück weitere Antworten: Das ausgebleichte Bild, in dem das Ensemble Munchs existenziellen «Schrei» manifestiert. Der Seelenstriptease, in dem Nils Torpus wie weiland Obelix im römischen Theater in seinem Ehrlichkeitswahn mit hochrotem Kopf seine seit über zehn Jahre unerfüllte Liebe gesteht. Sandra Utzinger, die ihre sexuellen Vorlieben und Familienverhältnisse offenlegt. Hostettler, der mit einer «Vegan-Schüttung» und einer Nummer in Plateau-Stiefeln einen Abgesang auf die eigene Exzentrik gibt. Die Liebeserklärungen und die teils unverständlichen Sprechversuche der Hora-Mitglieder – das alles deutet auf die Ressource «Angstfreie Ehrlichkeit», die unser Lebensfundament sein könnte.
Und wenn Torpus gegen Ende den freischaffenden, subventionsabhängigen Künstler als Prototyp des ökonomisch Nutzlosen zeichnet, wünscht man sich mehr von diesen Typen. Hostettler haucht die Botschaft in einem Daniel-Johnston-Song am Ende ins Mikrophon: «Listen up and I’ll tell you a story / About an Artist growing old / Some would try for fame and glory / Others just like to watch the world.»