«Back to the roots» in der Roten Fabrik – Michel Schröder inszeniert ein Stück nach dem Film «Themroc»
Back to the roots – Kritik in der NZZ
Ratter, knatter, kreisch, aaah, oooh, bumm. Retour à la nature, «back to the roots», verspricht die jüngste Arbeit der jungen Zürcher Formation Krautproduktion – und dort, an den Wurzeln, hat die Sprache ausgespielt. Schon zu Beginn des Stücks war sie ein blosses Versatzteillager: Hollywood-Phrasen vom Band, eine Art «prerecorded audiotrack» für die Bühne, der zum ersten, zweiten, dritten Mal abgespult wird fürs allmähliche Verfertigen von Mienenspiel beim Auftreten; ausserdem TV-Werbung-Phrasen, von den vier Schauspielern mit Ionescoscher Verve ins Verrückte gekippt. Der Rest ist Rattern, mit dem Pressluftbohrer zum Beispiel.
Die kongenialen Krachmacher rund um den Regisseur Michel Schröder, der am Schauspielhaus seine ersten Sporen verdiente, schonen nichts und niemanden, wenn sie «Themroc», die filmische Anarcho-Kultkomödie von Claude Farraldo aus dem Jahr 1972, auf die Bühne bohren. Thomas Hostettler gibt den regredierten Proletarier mit ironisch-vielsagendem Lacoste-Krokodil auf dem Pullunder, den Steinzeit-Stammler Themroc, der sich der Konsumwelt verweigert. Er ist in kleinen chaplinesken Gesten ganz gross. Themrocs Schwesterchen streichelt und schlägt ihre Puppe, trampelt in ihrem Trieb zum Bauen und Bodigen das Bett kaputt und häuft die Ruinen zur wackligen Höhle auf: Sandra Utzinger im Jack-Wolfskin-Mini hat sich in Kinderzimmern umgesehen. Lara Koerte, bald Mama, bald Musterfrau, immer in Schwarz, sekundiert mit Geschrei und Grimassen; nur Nils Torpus, mit Piratenkopf auf dem babyblauen Pulli, schenkt sich, als schüchtern-schwerfälliger Nachbar, in dem Tohuwabohu poetische Plätzchen mit Tierbüchlein von Paul Eipper und Holzelefanten vom Flohmarkt.
Vor kurzem wurden noch überall Videoclips in Theaterabende hineingebastelt. Jetzt aber macht man von vorneherein «das Theater zum Film»: im Schauspielhaus unlängst «Hinter den sieben Gleisen» und demnächst «Metropolis»; in Bern «Das Fest»; und nun, in der Roten Fabrik, «Themroc». Während das Theorie-und-Trara-Theaterkollektiv 400asa jüngst zum Filmteam mutiert ist, holt Krautproduktion dagegen das auf die Bretter, was sich ohne Zelluloid erzählen lässt: Lärm. Wer sich bis zu den Wurzeln hinuntergraben will, darf nicht zimperlich sein. Duri Bischoff hat dafür ein Durchschnittswohnzimmer ins Fabriktheater hineindesignt: blaues Sofa, helle, hohe Wohnwand, Laminatandeutung, alles, wie’s in den Umfragen steht. Und zugleich eine Tobezelle fürs rebellische Neandertaler-Theater (Chapeau!). Eine Motorsäge fräst sich durch den Einbauschrank, Themroc zertrümmert mit seinem Pressluftbohrer jeden Backstein der Sichtmauer, Mama hilft mit dem Vorschlaghammer nach, und aus dem Off scheppert Ohrenbetäubendes; dabei hätte «Element of Crime» gereicht: «Bring den Vorschlaghammer mit, wenn du heute Abend kommst, dann hauen wir alles kurz und klein . . .»
Der Materialverbrauch ist jedenfalls erheblich, die Hörnerv-Abnutzung auch, derweil das theatrale Pläsier sich in Grenzen hält – trotz charmant- intimen Szenen gegenseitigen Lausens, trotz dem bekanntlich gemeinschaftsstiftenden Schrei- und Heulkonzert am Schluss. Was der gut gemachten, gut durchdachten apocalypse now (und daher ihrem Zuschauer) fehlt, ist das, was man jedem Kind ansieht, wenn es den Puppenwagen zerlegt und zur Drachenhöhle umfunktioniert: die Lust.
Alexandra Kedves