Trashtheater ist selten geworden. Schade eigentlich – wie die Gruppe der kraut_produktion in Zürich bewies.
Babylon – Kritik im Tagesanzeiger
Wie lebendig diese Spielform des Theaters aber nach wie vor ist und wie viel Spass der virtuose Dilettantismus bereiten kann, hat Michel Schröder mit seiner freien Gruppe, der kraut_produktion, in den letzten Jahren wiederholt bewiesen. Nun hat Schröder mit dem Fabriktheater ein eigenes Haus, das er zusammen mit Michael Rüegg und Silvie von Kaenel als Ort behaupten will, an dem sich die freie Szene «unter professionellen Bedingungen austoben kann». Bevor sich andere Gruppen mit ihren je eigenen Theaterformen austoben können, hat Schröder die Bühne des Fabriktheaters, die unter den Vorgängern zu verstauben drohte, mit einer eigenen Produktion freigespielt: Entstaubt wurde sie mit «Babylon», einer lustvoll zelebrierten Trashrevue, in der unsere Gesellschaft von ihren Rändern und vornehmlich auf der Grundlage ihres im Internet deponierten Video-, Sprach- und Gedankenmülls porträtiert wird.
Besonders angetan haben es Schröder und seinem siebenköpfigen Ensemble jene Menschen, die Gott gefunden haben. Wie zum Beispiel jene junge Mutter, die sich in einer authentischen Kontaktanzeige als «brutal spontane» Melancholikerin vorstellt, die – dank Gott – im Internet einen Mann gefunden hat, nun aber – mit der Hilfe Gottes und dem Internet – noch eine beste Freundin sucht (eine grossartige Solonummer von Rahel Hubacher). Das Widersprüchliche und Abgründige, das man in solchen Texten finden kann, wird im Verlauf des Abends immer stärker akzentuiert, bis es im Schlussexzess ganz dominiert, sich in der gepflegten Wohn- und Küchenzeile von Duri Bischoff ein schimmliger Kühlschrank öffnet, ein Klo überläuft und ein bestialischer Gestank sich mit dem Geruch von angebratenem Fleisch vermengt (Thomas U. Hostettler hat gerade eines «seiner» Organe angebraten): Hinter der Fassade der Normalität und der (religiösen) Scheinheiligkeit lauert die menschliche Bestialität.
Indem er mit den gezeigten Exzessen und Grenzüberschreitungen auf die dunkle Seite der menschlichen Existenz verweist, ist «Babylon» eigentlich ein zutiefst moralischer Abend. Das ist erstaunlich, denn Schröders Trashtheater kommt so daher, als wolle es die verbliebenen moralischen Grenzen perforieren und – erklärtermassen – «mit vergänglichem Theater bleibende Schäden» anrichten.
Vielleicht macht aber gerade die moralische Perspektive den Abend bemerkenswert – neben dem grossen Spass, den er einem schockerprobten Publikum bereiten kann.
Andreas Tobler