«Schlammschlachtplatte»

Schlachtplatten – Kritik im Berner «Bund»

Die Gruppe kraut_produktion um Regisseur Michel Schröder und Autorin Stefanie Grob verwurstet im Stück «Schlachtplatten» schweizerische Mythen und Klischees von Hellebarde bis Hosenlupf – und landet nach allerlei Klamauk in einem überzeugenden Schlamassel.

Es ist alles Dreck, was glänzt: «Schlachtplatten»-Akteure auf der Suche nach der Schweizer Identität. (Bild Sava Hlavacek)

Es gibt Freibier und Rösti, «Lösli» und Schnaps, und ausserdem tischen Regisseur Michel Schröder und sein Team an diesem Unterhaltungsabend im Schlachthaus Theater eine anständige Portion Schweizer Klischees und Mythen auf. Auf der Schlachtbank liegt nichts weniger als die helvetische Identität, die das Ensemble der Zürcher Gruppe kraut_produktion mit einer Assoziations- und Zitatenflut garniert, in der von Heidi über Hosenlupf bis Hellebarden nichts fehlt.

Die gesammelten Helvetika – haarsträubend patriotische Wochenschaudokumente, eine Typologie der Schweizer Frau aus dem Werk «Die Schweiz – Mein Land», an Parodie grenzende Äusserungen eines angesäuselten Toni Brunners – sind die Nummern in diesem Musikantenstadl, in dem das Publikum es sich auf Festbänken gemütlich macht. Die Tiroler Stimmungskanonen mit Alleinunterhalterorgel und Akkordeon verwandeln das Vreneli vom Guggisberg flugs in die Vroni vom Vorarlberg, was im alpenländischen Unterhaltungsbrei, wie er aus dem ganz realen Fernseher schwappt, ja auch keine Rolle spielt. Sind wir nicht alle Habsburger?

Urmenschen im Höhlen-Reduit

Regisseur Michel Schröder und Autorin Stefanie Grob entwickelten «Schlachtplatten» als «Identitätsprojekt in guoter eidgnossischer sprach» zur Euro 08. Verschiedene Versionen wurden seit vergangenem Mai in Zürich, Freiburg, Basel und Paris gespielt, und manches mag im Kontext der Fussballschlachten zwingender gewirkt haben.

Doch viel Amüsantes bringt das Klauben in Historie und Gegenwart allemal zutage, und verwurstet wird das eine gern auch mit dem anderen, schliesslich waren die alten Eidgenossen auch nicht gerade zimperlich. Und auch nicht die uralten: So synchronisieren die Schauspieler live einen Ausschnitt aus dem Neandertaler-Film «Am Anfang war das Feuer»: Grunzend und schnaubend wittern sie «die Ausländer», die als fremder Stamm schon bald angreifen. Während die einen die Aggressoren blutig in die Flucht schlagen, ziehen sich die anderen Urmenschen in ihr Höhlen-Reduit zurück.

Dass der helvetische Homo aber auch heute nicht so sapiens ist, das macht nicht nur die markig-irrsinnige Kampfrhetorik aus dem Gerhard-Blocher-Film deutlich, sondern auch die nachgespielte Diskussionssendung «Club», in der es um die Schweizer Identität geht und man auf überhaupt gar keinen grünen Zweig kommt.

Dafür brechen von Zeit zu Zeit die Schauspieler in nur allzu bekannte Reflexe aus und wettern in einem Pseudomittelhochdeutsch gegen die «Tütschen», die «zu werchen» in unser Land gekommen sind. Ein anderer Reflex ist es auch, historisch Gewachsenes zu folklorisieren – so beschreibt die falsche Fernsehjournalistin auf der Videoeinspielung die 1.-Mai-Krawalle im Hintergrund als Brauch, der bis in die römische Zeit zurückgeht.

Alles flutscht

Michel Schröders launige Nummernrevue zeigt, was man durchaus schon gewusst hat: Wir Schweizerinnen und Schweizer leben mit einer Menge Widersprüche und haben allerlei Dreck an unserem Identitätsstecken. Aber die richtige Schlammschlacht, die kommt im Stück erst noch: Denn gegen Ende formieren sich die Schauspieler zu einem Menschenknäuel und schaffen so ein grossartig mehrdeutiges Theaterbild – miteinander schwingend und ringend: Ist es Kampf, ist es Spiel? Während einer ein x-strophiges Schlachtenlied deklamiert, begiesst er die anderen mit Schlamm, mit Wein, mit nachgemachten Körpersäften, bis alles flutscht und matscht und rutscht in diesem urtümlichen Kampfritual.

Die über und über besudelten Leiber winden sich, und dazu marschieren hinten auf der Leinwand die Teilnehmer eines Turnfests vorbei. Der Clou dieses Wälzens und Balgens: Der Dreck, der bleibt kleben – auch als das Unterhaltungsprogramm danach weiterläuft und Paola ihr Kleid zugunsten von «Save the Earth Today» versteigert. Nationalstolz, Debil-Entertainment und Öko-Scheinheiligkeit mischen sich prima mit der braunen Sauce.