Vergnüglich und mit Biss: kraut_produktion nimmt in der Gessnerallee die Schweiz und ihre Geschichte in die Theater-Pranke.
Schlachtplatten – Kritik im Zürcher Oberländer
Ja, das sind noch Schweizer. Sie schwingen Fahnen, blasen Alphorn, schälen Kartoffeln rezitieren patriotische Balladen und haben die Hellebarde stets griffbereit. Und wehe der andere wagt, was man selber gerne tun würde!
Nicht weniger als die ganze Schweizer Geschichte hat sich die Gruppe kraut_produktion um Regisseur Michel Schröder unter dem Titel «Schlachtplatten» vorgenommen. Vier Episoden werden bis zum Euro-08-Finale herauskommen. Während sich die erste am Montagabend mit der Zeit bis zum Rütlischwur befasste (wenigstens offiziell), werden sich die folgenden mit den berühmten Schlachten des Mittelalters, «Reformation bis Resignation», und schliesslich der modernen Schweiz seit 1848 befassen.
Es ist warm in der engen Nebenspielstätte P* des Theaterhaus Gessnerallee, und es riecht etwas streng: gut schweizerischer Stallgeruch. Auf dem langen Festtisch ist (alter) Mist zu einer kunstvollen Landschaft drapiert, jeder Hügel gekrönt von einer Schweizer Burg im Modellbauformat. Es ist kein gewöhnlicher Theaterraum, was Duri Bischoff kreierte, sondern eine Mischung aus einem jener verstaubten und seit Jahrzehnten nicht mehr überarbeiteten Heimatmuseen und einem Stall.
Lektionen und Parodie
Für kraut_produktion beginnt der Schweizer Kampf gegen die fremden Affen schon in Zeiten der Höhlenbewohner. Höchst witzig wird ein blutiger filmischer Angriff aus dem Ausland live nachsynchronisiert, bevor die erste mittelhochdeutsche Ansprache die chronistische Pflichterfüllung markiert. Die 1950er erweisen sich in einem Werbefilm der Grenzwacht oder in einer herrlich simplifizierten Rede über Schweizer Frauen als fast gleichweit entfernt wie die (falschen) mittelhochdeutschen Texte, in welchen Stefanie Grob ganze Arbeit geleistet hat. In einer klassischen Lehrererzählung leben die alten Helvetier auf, in Lokalfernseh-Parodie werden 1.Mai-Rituale und Mundartdiskussion abgehandelt. Das Ensemble mit Sandra Utzinger zwischen den immer leicht sedierten Eidgenossen Thomas U. Hostettler, HansJürg Müller und Michael Wolf sowie Thomas Keller, der mehr trinkt als Alphorn bläst, findet mit dem Charme des Unfertigen und Improvisierten zu einem Ganzen.
Es ist zwar ein einseitiger, aber lustvoller Durchgang durch Schweizer Geschichte und Klischees. Als Ergänzung und Gegengewicht zur Fussball-Europameisterschaft und zur Abstimmung am 1. Juni passen diese «Schlachtplatten» hervorragend – und sind erst noch kürzer als eine Doppellektion in der Schule oder ein Fussballmatch.
Tobias Gerosa